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Satsang-Kolumne: Ist Egoismus nur schlecht?

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Satsang kommt aus dem altindischen Sanskrit und bedeutet: Sich in der Wahrheit treffen. Traditionell wurde der Begriff für ein Zusammensein zwischen einem Meister und seinen Schülern verwendet. Zu solch einem “Treffen” laden wir euch jetzt ein. Hier auf yogaworld.de, mit der promovierten Philosophin MoonHee K. Fischer. In unserer neuen Satsang-Kolumne beantwortet MoonHee eure großen und kleinen Lebensfragen.

Die Suche nach dem eigenen Selbst

Immer mehr Menschen entdecken ihr Bedürfnis nach Spiritualität: nach Ruhe, Entspannung, leisen Momenten – nach Einkehr und Harmonie. Fast jeder in unserem Bekanntenkreis macht Yoga oder meditiert. Manche haben bereits eine Ayurvedakur in Indien gemacht oder vertrauen sich ganzheitlich arbeitenden Ärzten und Therapeuten an. Denn die Suche nach dem eigenen Selbst und nach inneren Frieden steigt proportional zur Schnelllebigkeit im Außen. Unser heutiges Weltbild ist von einem grundlegenden Materialismus und einem starken Nihilismus geprägt. Das Resultat ist eine Welt, die ganz auf Vernunft getrimmt ist; wo Gefühle keinen Platz haben oder nur noch in dem Maße wie es der vorherrschende Lifestyle oder die Gesellschaft es zulässt. Der Mensch muss funktionieren. Dies führt nicht nur zu einer Überforderung im Allgemeinen, sondern wirft auch eine Menge von Fragen auf. Und genau diese Fragen möchte ich dir hier beantworten, als Medium, das auf die altindische Form des Satsang zurückgreift.

Ich lade dich dazu ein, Fragen zu stellen, die ich dann aus ganzheitlicher Sicht, auf medialer Ebene beantworte. So erhältst du eine Anleitung zu einer neuen Offenheit – dir selbst gegenüber und zu mehr Spiritualität im Alltag. Idealerweise lernst du, deine tiefsten Sehnsüchte und Träume bewusst wahr zu nehmen und dein Leben positiv zu verändern.

Ich freue mich auf eure Fragen, die ich sehr gerne – so weit es mir möglich ist – beantworten werden. Meine Antworten haben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Mir ist es durchaus bewusst, dass manche Fragen eine ausführlichere Beantwortung verdient hätten, vor allem die persönlicheren. Ich bitte euch um Verständnis, dass das hier in diesem Rahmen nur bedingt möglich ist. Sollten Fragen offen bleiben, dann einfach noch einmal fragen oder mich kontaktieren.

Ich freu mich auf deine Fragen. Mögen alle Wesen glücklich sein,
Deine MoonHee


Pia: Wie kann Egoismus zum Glück verhelfen und was kann ich davon lernen? Oder ist Egoismus immer nur schlecht?

In einer Welt, in der die Individualität der Gemeinschaft vorgezogen wird, statt Ehrlichkeit und Anstand, Profit propagiert wird, Gier und Vergnügen mehr Wert beigemessen wird als Teilen und aufrichtiger Freude, Selbstoptimierung der Selbstreflexion vorgezogen wird und Gewalt, Hass und Ablehnung statt Liebe und Mitgefühl zur Tagesordnung gehören, kann man dem Egoismus sicherlich etwas Positives abgewinnen. Menschen neigen dazu, Schlechtes und selbstverschuldete schlechte Eigenschaften so hinzudrehen, dass es für sie Sinn macht. Denn es ist einfacher ein bequemer und schlechter Mensch zu sein als ein guter.

Generell ist der Begriff Egoismus negativ besetzt. Ein gesunder Egoismus ist aber gut und wünschenswert. Jedoch ist Egoismus kein dehnbarer Begriff. Er ist weder beliebig noch relativierbar. Das wäre, als ob man ein bisschen schwanger sein könnte, was nicht möglich ist. Entweder ist man es oder nicht. Die Auswirkungen von egoistischem Verhalten mögen zwar unterschiedlich stark ausgeprägt sein, mal mehr oder weniger auffallen, aber der Egoismus an sich ist immer derselbe.

Tragischerweise haben wir uns mit einer schnelllebigen und oberflächlichen, aber vor allem mit einer trennenden Gesellschaft abgefunden. “Die Welt ist nun mal so wie sie ist und jeder muss schauen (zu Recht), wo er bleibt.” In einer egoistischen Welt sieht man hauptsächlich seine Rechte und kaum seine Pflichten. Und hat man welche, so hat man das Recht, sich zu beklagen und sich zu bedauern. Der Egoismus ist kurzsichtig und teilt nicht gerne. Die Folgen sind Vorwürfe und Anklage: Die anderen sind Schuld. Egoistisches Verhalten zeigt sich in Rechthaberei, Wut, Misstrauen, Lastern, in der Unfähigkeit zum Dialog und zur Versöhnung, in Unverständnis und in Ängsten.

Die Ursache des Egoismus liegt in der Entfremdung des Menschen. Von sich selbst und von anderen. Genau in dieser Selbstentfremdung und Trennung liegt das größte Leid des Menschen. In ihnen wurzeln alle Ängste (siehe Frage nach der Angst), die der Beginn von Ambivalenz und Kompensation sind. Der moderne Mensch leidet. Das ist unübersehbar. Aber er leidet weniger an der Welt, sondern an sich selbst. Denn Egoismus bedeutet nicht Fülle, in dem Sinne von Mehr, sondern Mangel. Nämlich den an sich selbst. Der Egoist liebt sich nicht zu viel, sondern zu wenig, im Grunde hasst er sich, so Erich Fromm.[1]

Hass scheint ein starkes Wort zu sein, aber was ist Hass anderes als Ablehnung und Verzweiflung? Nur der ver-zweite (gespaltene) Mensch ist verzweifelt und zu unreflektiertem oder schlechtem Handeln fähig. Alle Nichtliebe, alles Schlechte und Böse, mag es noch so klein sein, hat seinen Anfang in dem Gefühl der Trennung und der Einsamkeit. Anders gesagt, dort wo Einheit ist, ist Liebe und Verständnis und dort wo Trennung ist, ist Egoismus und Ablehnung. Liebe ist Offenheit und immer PRO, hingegen ist Egoismus, als falsche Selbstbezogenheit, Abgrenzung und immer CONTRA. Das Dagegen-sein zeigt sich in einem überzogenen Anspruch auf Freiheit und wird gerne mit den Worten – Ich muss gar nichts – zum Ausdruck gebracht. Müssen wir nicht, wenn wir nicht wollen? Ist es aber nicht schöner und bereichernder, um der Gemeinschaft und der Liebe willen, müssen zu wollen, statt trotzig der Welt entgegen zu stehen?

Können wir um unserer selbst und zugleich um der anderen willen, in eine Großzügigkeit kommen und unsere Kleinheit überwinden? Können wir weicher statt härter sein? Können wir ehrlich zu uns selbst sein und statt des Splitters im Auge des anderen, den Balken in unserem eigenen Auge sehen? Können wir uns(er) SELBST finden und jeglichen Selbstzentrismus überwinden, indem wir uns freiwillig dem Allgemeinwohl unterwerfen bzw. unterstellen, ohne uns dabei beschränkt und gedemütigt zu fühlen? Wir müssen verstehen. Selbst bedeutet nicht Ich. Das Ich ist immer in sich isoliert und gefangen. Nur im wahren Selbst, das sich nicht von anderen unterscheidet, sondern mit unserem ureigenen tiefen Selbst verschmilz, sind wir wirklich autark und frei – alles andere ist und bleibt illusorische Ich-Projektion.


[1] Vgl. Erich Fromm 2014, Die Kunst des Liebens 100, München.

Wolfgang: Unter welchen Umständen macht es Sinn, eine beendete Beziehung neu zu beleben?

Einer der größten Ängste des Menschen ist, verlassen zu werden und alleine zu sein. Kaum einer hat keine Verlassens- bzw. Verlustängste. Bei manchen ist sie so groß, dass man sich erst gar nicht auf eine verbindliche und tiefere Beziehung einlässt. Andere wiederum halten mit allen Mitteln an einer Beziehung fest, obwohl sie dabei alles andere als glücklich sind. Nicht selten werden die eigenen Bedürfnisse und Interessen entweder über die des anderen gestellt oder sie werden hintenangestellt, und offensichtlich schlecht laufende oder nicht passende Dinge werden gerne verdrängt oder verschönert.

Eine harmonische, ausgewogene und partnerschaftliche Beziehung ist erstrebens- und wünschenswert, aber in der Umsetzung schwierig. Beziehung bedeutet Austausch, Mit- und Füreinander, auch die zu sich selbst. Sinn und Zweck von Beziehungen ist das Erlernen der Beziehungsfähigkeit. Nicht Monolog, sondern Dialog, und damit verbunden die Fähigkeit zur Offenheit. Denn (wahre) Beziehung ist Offenheit schlechthin. Diese darf auf keinen Fall als ein Sich-alles-offen-halten verstanden werden. Die Unverbindlichkeit ist der Tod jeder Beziehung. Verbundenheit ist die Voraussetzung für eine Beziehung und um echte Offenheit zu leben. Nur in einer verbindenden, wertfreien Offenheit können wir den anderen wirklich sehen und hören. Alles andere ist keine Beziehung, sondern Selbstprojektion: von eigenen Einfärbungen, Mustern, Vorstellungen, Wünschen und Ängsten. Man sieht also nur sich selbst und nicht den anderen.

Aber so wie man eine Rechnung nicht ohne den Wirt machen kann, so kann man auch ohne ein Gegenüber keine Beziehung führen. Eine Sackgasse endet immer, ganz gleich wie lange die Straße auch sein mag. Wollen wir dieser Sackgasse entgehen oder sie sogar auflösen, so sollte unser Ich ausbaufähig bzw. lernfähig sein. Ein ausgebautes Ich meint in diesem Kontext, Wachstum zum DU und das Zusammenfließen in ein gemeinschaftliches WIR. Das Ende einer Beziehung kann so traumatisch und bewegend sein, dass wir zur Transformation bereit sind. Diese liegt im Loslassen und in der Annahme.

Das Loslassen sollte mit der Enttäuschung aller Trugbilder und falschen Vorstellungen, die ich von der Beziehung, von meinem Gegenüber und von mir selbst habe, einhergehen. Ist das, was dann noch bleibt, fern von Verlust- und Versagensängsten, von Kompensation und Selbsttäuschung, annehmbar und beziehungswürdig, so sollte man offen sein – dem anderen und sich selbst gegenüber. Der Offenheit dem anderen gegenüber geht eine Offenheit sich selbst gegenüber voraus. Nur wer sich selbst erkennt und sich selbst annehmen kann, kann sich auf einen anderen beziehen und dabei zugleich autark und autonom sein. In der Selbstannahme liegt der Schlüssel für eine Partnerschaft auf Augenhöhe. Wer die eigene Freiheit noch nicht erreicht hat, wird auch die Freiheit einer harmonischen Beziehung nicht kosten. (Siehe Frage: Wie kann ich in einer Beziehung Freiheit finden?) Auf Grund des Selbstmangels ist man nicht nur emotional erpressbar, sondern bleibt trotz der Beziehung für sich alleine.

Mehr Antworten gibt es hier


Dr. MoonHee Fischer ist promovierte Religionsphilosophin und arbeitet im Bereich der alternativen Heilung. Ihre Schwerpunkte sind mediale Supervision und “Der Weg des Friedens”. Ihre Verknüpfung “spirituelle Medialität und wissenschaftlicher Anspruch” eröffnet nicht nur neue, interessante Ansätze für ein ganzheitliches Bewusstsein, sondern betont vor allem die Fähigkeit der Offenheit und das Mit- und Füreinander – “denn nichts existiert unabhängig voneinander”.

Der Weg des Friedens: philosophisch-spirituelle Praxis“. Foto: Elias Hassos

Der Beitrag Satsang-Kolumne: Ist Egoismus nur schlecht? erschien zuerst auf Yoga World - Home of Yoga Journal.


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