In der Satsang-Kolumne antwortet Dr. MoonHee Fischer, promovierte Religionsphilosophin, im Bereich der alternativen Heilung tätig, auf eure dringenden (Sinn-)Fragen. Schreibe dafür einfach eine Mail an redaktion@yogaworld.de. Heute: Gibt es weibliche und männliche Selbstliebe?
Patrick: Gibt es so etwas wie eine weibliche und/oder männliche Form von Selbstliebe? Meine Erfahrung als Mann ist, dass Selbstliebe als Oberbegriff dient und als Ganzes für sich stehen kann, doch die Feinheit in männlich und weiblich macht doch noch einmal was aus für eine wirkliche Annahme des eigenen Selbst.
Der Taoismus spricht von Yin als weiblichem und Yang als männlichem Prinzip. Yin, das passive Empfangende, und Yang, das aktive Schöpferische, repräsentieren die zwei Grundprinzipien des Lebens. Das Taiji-Emblem (Yin-Yang Symbol) symbolisiert, dass die große übergeordnete Einheit nur durch die Wechselwirkung beider Kräfte zustande kommt. Im Zusammenspiel beider Momente wird die universale Einheit erzeugt. Das eine ist jeweils in dem anderen enthalten und jeder Pol verkehrt sich unaufhörlich in seinen gegenteiligen. Der stetige Umbruch bzw. Wandel vom Passiven zum Aktiven. Vom Dunklen zum Hellen. Vom Schwachen zum Starken, wie umgekehrt, gewährleistet den Lauf aller Dinge. Denn ohne Wandlung kein Sein.
Sich bereichernde Gegensätze
Interessanterweise stellt der philosophische Taoismus im Gegensatz zu den klassischen Weltphilosophien ein Matriarchat und kein Patriarchat dar. Laotse spricht vom Dao als Mutter aller Dinge. Dahinter steckt der grundlegende Gedanke, dass das Schwache das Starke Starke besiegt. Die herausragenden Eigenschaften des Dao sind Fürsorglichkeit, Schwachheit, Niedrigkeit, Kleinheit und Anpassungsfähigkeit. Im Tao te king stehen die Bilder der Mutter, des Kindes, des Tales und des Wassers für diese Eigenschaften.
Das Dao wahrt die natürliche Ordnung, indem es bescheiden, sanftmütig und vor allem nutzlos ist. Das Nutzlose ist ohne Wissen und ohne So-Sein. Hat man kein Wissen, so kennt man keinen Eigensinn. Kennt man keinen Eigensinn, so kommt man nicht zu Fall. Dao als das Ordnungsprinzip schlechthin hat keinerlei Präferenzen. Zwar sind alle Gegensätze und aller Wandel in ihm enthalten, doch das große Eine selbst, ist frei von jeglichem Wandel und jeglicher Zweiheit. Dao ist dynamischer Wandel ohne sich jedoch selbst zu wandeln.
Liebe als weibliches Prinzip
All dies trifft auch auf die Selbstliebe zu. Da das (wahre) Selbst, Liebe ist, und Liebe immer Einheit bedeutet. Deshalb ist das Dao frei von Neigungen, Vorlieben, Bedürfnisse und Begehren. Beide Phänomene definieren sich über das Nutzlose, das Nicht-Sein. Nur in ihrer Substanzlosigkeit oder Leerheit können sie vollkommen selbstvergessend Alles und zugleich Nichts sein. Die Liebe als einheitsgebendes Prinzip geht der Selbstliebe voraus. Die Liebe ist groß und allumfassend, weil sie klein ist. Die Kleinheit ist die wahre Stärke des Großen. Das Große kann deshalb groß sein, weil das Kleine vollkommen selbstvergessend im Großen aufgeht. Es nimmt sich zugunsten des großen Ganzen in seinem Sein zurück.
Die Liebe an sich, so wie die Selbstliebe, sind also weiblich. Denn das tragende Element jeder Liebe, ob Selbstliebe, Nächstenliebe, brüderliche Liebe etc., ist die Selbstvergessenheit. Nur wer sich selbst, im Sinne des Ichs vergisst, liebt.
Das Yin geht also dem Yang voraus. Doch braucht das Weibliche zu seiner Vollendung seinen männlichen Part. Yin und Yang stehen für das Ein- und Ausatmen der Lebenskraft Qi. Die Energie des Atmens ist etwas Lebendiges und was lebendig ist, ist bewegt. Beziehungsweise befindet sich im steten Wandel. Der Zyklus einer Wandlung besteht immer in der Korrelation von Schöpferischem und Empfangendem. Ohne diese harmonische Wechselseitigkeit kommt alles Sein zum Erliegen. Keine weibliche ohne männliche Selbstliebe. [1]
[1] Siehe zu Yin und Yang das Kapitel: Die zwei Grundprinzipien der Wandlung in Moonhee Fischer Wir erleben mehr, als wir begreifen. Studien zur Bedeutung und Interpretation des mystischen Weges der Leere und Fülle in fünf religiösen Traditionen, St. Ottilien 2020.
Satsang von letzter Woche

Dr. MoonHee Fischer ist promovierte Religionsphilosophin und arbeitet im Bereich der alternativen Heilung. Ihre Schwerpunkte sind mediale Supervision und “Der Weg des Friedens“. Ihre Verknüpfung “spirituelle Medialität und wissenschaftlicher Anspruch” eröffnet nicht nur neue, interessante Ansätze für ein ganzheitliches Bewusstsein, sondern betont vor allem die Fähigkeit der Offenheit und das Mit- und Füreinander – “denn nichts existiert unabhängig voneinander”.
Portraitfoto von Elias Hassos | Titelfoto von Matheus Viana von Pexels
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