Yogisch essen … was bedeutet das eigentlich? Verhindert ein Steak die Erleuchtung und sind Veganer die besseren Yogis? Eine Antwortsuche zum Thema Yoga und Ernährung.
Elvira hat Hunger. Wie so oft ist die Hamburger Managerin gerade mal wieder auf einer Yogamesse unterwegs. Sie liebt den Austausch dort, die Sessions mit berühmten Lehrern, das Stöbern an den Ständen, wo weiche Yogamode, duftende Naturkosmetik, schicke Matten und Bolster oder funkelnde Malas angeboten werden. Und dann natürlich das leckere Essen! Darum schlendert Elvira nun in Richtung Food-Court, wo sie sich gleich ein saftiges Putenschnitzel mit Salat holen wird …
Gewaltlosigkeit als Grundprinzip des Yoga
Moment! Wenn Sie selbst schon mal auf einer Yogamesse oder einem Yogafestival waren, dann werden Sie bemerkt haben: Etwas stimmt nicht an diesem Szenario! Das Essen auf solchen Events ist in aller Regel vegetarisch, oft sogar vegan. Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass Yoga und Fleischkonsum nicht zusammenpassen. Oder ist es gar ein geschriebenes? Immerhin gilt Ahimsa, also Gewaltlosigkeit, als eines der wichtigsten, wenn nicht gar das wichtigste Grundprinzip des Yoga, und da ein Schnitzel nun mal den Tod eines Tieres voraussetzt, ist es hier mit der Gewaltlosigkeit ja nicht allzu weit her. Auch wer sich schon mal genauer mit der Milchindustrie auseinandergesetzt hat oder weiß, dass männliche Legeküken wegen Unbrauchbarkeit in der Regel sofort nach der Geburt getötet werden, wird sich schwertun, hier die Gewalt zu leugnen. Doch ist es wirklich so einfach?
Veganer sind in der Minderheit
Lässt sich Ahimsa nicht womöglich auch anders interpretieren, wenn man weitere Aspekte des Lebens beleuchtet und nicht nur das bloße “Töten oder nich töten”? Wer sich in der Yogaszene umhört, merkt: Die Meinungen sind längst nicht so eindeutig und einheitlich, wie es der Speiseplan auf den Yogaevents vermuten lässt. Nehmen wir zum Beispiel die Yoga-Journal-Leserschaft: Unserer letzten Leserbefragung zufolge ernähren sich 21,6 Prozent von Ihnen vegetarisch und 7,8 Prozent vegan. Das ist immerhin deutlich mehr als der bundesdeutsche Durchschnitt (je nach Quelle zwischen 2 und 10 beziehungsweise 0,8 und 2 Prozent). Trotzdem bleiben immer noch gut zwei Drittel, die gelegentlich (45,5 Prozent) oder regelmäßig (25,1 Prozent) Fleisch essen. Praktizieren die Yoga nun alle “falsch”? Eine solche Behauptung wäre ganz schön vermessen. Wie hängen aber nun Yoga und Ernährung zusammen?
Gewaltsamkeit ist keine Frage der Diät
Selbst bei den großen Gurus finden sich unterschiedliche Ansichten zum Thema. So verurteilte etwa B. K. S. Iyengar nicht generell das Essen von Fleisch, weil er berücksichtigt, dass die Entscheidung auch geprägt ist von Traditionen und Gewohnheiten des jeweiligen Herkunftslandes. In seinem Standardwerk “Licht auf Yoga” betont er zudem, dass selbst “blutdürstige Tyrannen” Vegetarier sein können: “Gewaltsamkeit ist ein geistiger Zustand, nicht eine Frage der Diät.” Dennoch ist er sich sicher: “Mit der Zeit (…) muss der Yogaschüler eine vegetarische Diät annehmen, um zielgerichtete Aufmerksamkeit und geistige Entwicklung zu erlangen.”
Fleischverzicht als Basis yogischen Handelns?
Für Jivamukti-Schüler gilt sogar ein konsequent veganer Lebensstil als unbedingt erstrebenswert. Die Mitgründerin dieses Stils, Sharon Gannon, lebt bereits seit 1983 vegan. Patanjalis Satz “Versuche, so wenig Schaden wie möglich anzurichten”, bedeutet für sie, dass man konsequent auf Tierprodukte verzichten sollte – die Basis yogischen Handelns
ende schließlich nicht mit dem Verlassen der Yogamatte, sondern erfordere allumfassendes Mitgefühl: “Nicht jeder kann einen Kopf- oder Handstand, aber jeder isst!” Der direkteste und machtvollste Weg, um Leiden und Angst zu lindern, gehe darum über unsere Teller.
Kann vegetarische Ernährung schaden?
Der berühmte T. K. V. Desikachar ist anderer Meinung. In seinem Buch “Yoga – Gesundheit von Körper und Geist” schreibt er, nirgendwo in den Veden stünde geschrieben, “dass eine vegetarische Lebensweise für einen ernsthaften Yogaschüler zwingend ist”. Seine Schülerin Kate Holcombe, die Gründerin der Healing Yoga Foundation in San Francisco, erzählte 2015 in einem Artikel für das US-amerikanische Yoga Journal eine Anekdote aus ihrer Lehrzeit bei Desikachar in den 1990ern: Ein ehrgeiziger, französischer Yogaschüler war gekommen, um sich beraten zu lassen – er hatte viel Gewicht verloren, war sehr blass und zu schwach, um sich auf sein Yogastudium zu konzentrieren.
Vom Meister gefragt, ob er Fleisch esse, winkte er entrüstet ab – “Natürlich nicht!” –, er wolle schließlich Yogalehrer werden und jeder wisse, dass Fleischkonsum dann verboten sei: Ahimsa bedeute ja Nicht-Schädigen. Daraufhin fragte der Meister den jungen Mann, ob er denn mal über den Schaden nachgedacht hätte, den er seinem eigenen Körper zufüge? Obwohl Desikachar selbst Vegetarier war, riet er hier zum regelmäßigen Verzehr von Hühnchen und Fisch. Der Körpertyp des Franzosen brauche das nämlich einfach.
Yoga und Ernährung: Jeder Körper ist anders
Nun ist das Bild vom blassen, schwachen Veganer oder Vegetarier ein Klischee, das man bei der Pro-Fleisch-Argumentation nicht überstrapazieren sollte. Für die meisten Menschen stellt eine vegetarische Ernährung nämlich mitnichten ein gesundheitliches Problem dar, im Gegenteil: Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt sie ausdrücklich. Als Veganer muss man sich zwar ein wenig besser auskennen, um alle Nährstoffe zu bekommen, und sollte außerdem Vitamin B12 supplementieren, aber dass es sich grundsätzlich auch völlig tierproduktfrei gesund leben lässt, dafür sprechen mittlerweile diverse Studien. Es gibt sogar vegane Spitzensportler, etwa den Triathleten Brendan Brazier oder die Tennisspielerinnen Serena und Venus Williams, die das “Veganer sind schwächlich”-Gerücht Lügen strafen. Doch die meisten sind eben nicht alle – jeder Körper ist anders.
Bewusster Konsum auf allen Ebenen
Und jede Seele, jede Persönlichkeit, jedes Umfeld auch! Die Essenswahl ist nicht die einzige Entscheidung, die uns das Leben abverlangt, und manchmal kollidieren verschiedene unserer Grundsätze. Dann gilt es, abzuwägen – so wie der Dalai Lama, der aus Höflichkeit eine Weißwurst gegessen haben soll. Unser Leben ist zu komplex, um sich in feste Schablonen pressen zu lassen, die noch dazu für alle Menschen und Lebensumstände gleichermaßen gültig sein sollen. Bevor dieser Artikel nun aber in einem “Jeder, wie er mag und kann”-Fazit endet, sei eine Sache betont: Ein ungezügelter Konsum von (Billig-)Fleisch aus Massentierhaltung lässt sich nicht mit einem yogischen Leben vereinbaren.
Wer sich mit Yoga und Ernährung beschäftigt und nicht auf Fleisch verzichten kann oder will, sollte es bewusst konsumieren. Mit Respekt vor dem Tier, das sein Leben dafür gibt. Heißt: Wenig, aber qualitativ hochwertiges, regional erzeugtes Bio-Fleisch aus artgerechter Haltung sollte es sein. Nichtsdestotrotz wollen wir Ihnen aber auch Lust darauf machen, mehr vegane Gerichte in ihren Alltag zu integrieren.
CARMEN SCHNITZER ist “vegan-bemühte” Vegetarierin, die Fleisch schon als Kind wenig abgewinnen konnte und es vor gut zwei Jahrzehnten schließlich ganz vom Speiseplan strich. Sie vermisst es kein bisschen, tappt aber, wie so viele Möchtegern-Veganer, immer
mal wieder in die “Käsefalle”.
Der Beitrag Yoga und Ernährung: Sind Veganer bessere Yogis? erschien zuerst auf Yoga World - Home of Yoga Journal.